anders reisen II: Mit dem Rad um die Welt
(von Aaron Simchen, Vorstand der BUNDjugend BW in kriZ 1/2010)
Sehnt ihr euch auch schon nach den nächsten Ferien? Zieht es euch hinaus in die Welt? Hinaus in die Natur, um dort eure Träume zu leben? Es soll Menschen geben, die ziehen sich zum Träumen Filme auf Youtube rein oder kaufen das, wovon sie vermeintlich träumen bei H&M oder Media Markt. Für viele Menschen scheint „Träume erfüllen“ nichts anderes mehr zu bedeuten, als Konsum, Konsum, Konsum… Albert Einstein hat einmal geschrieben: „Das Leben ist wie ein Fahrrad. Man muss sich vorwärts bewegen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren“ – Ich glaube da ist was dran. A apropos Fahrrad: Warum nicht die Welt mit dem Rad entdecken? Egal, ob rund um den Bodensee oder über die Alpen, an Nord- und Ostseeküste entlang oder einmal quer durch Frankreich… Keine All-inclusive Reise, kein Auto. Nur ihr, euer Rad und das, was ihr zum Leben braucht. Mit Freunden losziehen und viele neue Menschen kennenlernen. Ihr werdet staunen, welche Überraschungen das Leben mit und auf dem Rad für euch bereithält. Genauso, wie auch ich staunte, als ich im vergangenen Jahr auf einer Radtour mit Freunden von Genf nach Aix en Provence, zwei fantastische Menschen traf. Ihre Namen sind Delphine Million und Damien Artero. Die Beiden waren kurz zuvor von einer zweieinhalbjährigen Weltumrundung mit dem Tandem zurückgekehrt und luden uns ein, die Nacht bei Ihnen zu verbringen. Es wurde ein unvergesslicher, bunter Abend, gekrönt von einem köstlichen Abendessen, das Delphine und Damien für uns auf den Tisch zauberten. Mit ihnen ein Interview über ihre Weltumrundung geführt. Ein Interview, das Träume weckt und dazu ermutigt, sich seine Träume auch zu erfüllen. Delphine und Damien, ihr seid mit dem Tandem um die Welt geradelt: Wann habt ihr euch dazu entschlossen? Was hat euch inspiriert und motiviert? Damien: Das ist eine lange Geschichte… als ich noch ein Kind war, veranstaltete meine Mutter, die eine Bibliothek leitete, mit ihren Kolleginnen alle zwei Jahre einen Reiseliteratur-Salon. Es wurden Abenteurer eingeladen, die ihre Bücher und Reisen vorstellten. Beim gemeinsamen Abendessen waren wir dann am Tisch von Aktivisten und Abenteurern umgeben; ich hörte die Geschichten dieser glücklichen «Verrückten» und dachte, «Das möchte ich auch machen». Delphine: Als wir uns ineinander verliebt hatten, wusste ich, dass Damien dieses ein bisschen verrückte Projekt im Kopf hatte. An jenem Tag, an dem er sagte «erinnerst du dich an meinen Traum? Ich werde losziehen…» überlegte ich kurz und fällte die Entscheidung, mich ihm anzuschließen. Und es lief echt gut! Damien: Kurzum, wir sind im April 2006 aufgebrochen, ohne wirkliche Länderziele und vor allem ohne Terminkalender, ohne Zeitbeschränkung, nur mit dem Glück in der Hand, Fahrradnomaden zu werden und die Welt und ihre Bewohner kennenzulernen. Durch welche Länder seid ihr gekommen und was war eure großartigste Erfahrung? Damien: Insgesamt war die großartigste Erfahrung, das Empfangenwerden, die Gastfreundschaft und die Großzügigkeit, welche uns auf der ganzen Welt zuteil wurde; alle Kulturen und alle Nationalitäten eingenommen. Der Beweis, dass die Welt schön und die Menschen gut sind! Wir sind mit einer ganzen Schar von Adoptivfamilien, die uns in all den Ländern wie ihre eigenen Kinder aufgenommen haben, zurückgekehrt. Delphine: Und dann bleiben uns starke Eindrücke von der doch so schwierigen Durchquerung der Lipez-Region in Südbolivien (eine extrem unwirtliche Gebirgswüstenregion) – Wochen des Kampfes gegen den Wind, die Kälte, den Sand und die Steine auf teuflischen Wegen; oder auch die Durchquerung Tibets, die verboten ist, welche wir aber dennoch mit viel Glück realisieren konnten; und vor allem der Aufenthalt in Lhasa und die Zeltnächte, sozusagen am Fuße des Mount Everest! Sicherlich habt ihr viel Leid, Armut und Ungerechtigkeit gesehen. Was hat euch am meisten mitgenommen und was kann man als junger Mensch tun, um zu einer gerechteren und solidarischeren Welt beizutragen? Damien: In einigen Ländern haben wir für unterschiedliche Hilfs- und Umweltorganisationen gearbeitet; wir haben versucht, bei den alltäglichen Aufgaben behilflich zu sein: Zum Beispiel Essen kochen, bei Bauarbeiten helfen, Unterrichtsstunden vertreten und Klassenausflüge organisieren. Aber vor allem haben wir kleine Filme über die einzelnen Einrichtungen gedreht, um deren Bekanntheitsgrad zu steigern. Insgesamt hatten wir so viele lehrreiche Begegnungen, die uns daran erinnert haben, wie klein wir doch sind und dennoch: ganz Mensch. Delphine: Für uns fängt das Gestalten einer gerechteren und solidarischeren Welt bei den kleinen Dingen an. Zuallererst unser Konsumverhalten: Der Kauf von lokalen und ökologisch hergestellten Produkten beispielsweise. Dann unser eigenes, freiwilliges Handeln: Wir können alle auf eine Reise gehen, um vor Ort Hilfseinrichtungen zu unterstützen. Damien: Das Unheil, dessen Zeuge man als Reisender wird, hilft uns auch, selbst genauer zu bestimmen, was uns glücklich macht, was unsere wahren Bedürfnisse sind, uns vom Materialismus loszureißen, und uns selbst zu übertreffen. Was ist Freiheit, eurer Meinung nach? Delphine: Sagen zu können, was man will, und tun, was man sich vornimmt. Niemandem Rechenschaft schuldig und sein eigener Herr zu sein. Wir haben alle Träume, wir brauchen uns von niemandem sagen zu lassen, dass etwas unrealistisch und unerreichbar sei. Alles ist möglich! Damien: Uns Radreisende begleitet die Freiheit jeden Tag. Aufstehen, schauen woher der Wind weht und entscheiden in die eine oder andere Richtung zu radeln, zu bleiben oder weiterzufahren, jeden Moment voll auszukosten, allein auf der Welt oder umgeben von neuen Begegnungen, ohne Termine, ohne Chef, ohne Zwang. Was ratet ihr Jugendlichen, die vorhaben, ihr erste eigene Radreise zu unternehmen? Damien: Hört einfach auf euer Herz. Steckt euch Ziele, werdet euch klar darüber, was ihr sucht und erleben wollt und setzt um, was ihr euch in den Kopf gesetzt habt. Lasst euch von niemandem entmutigen! Delphine: Und wenn ihr mit dem Rad loszieht, schaut dass ihr eines habt oder kriegt, auf dem ihr euch wohlfühlt – denn damit steht und fällt die Reise. Das Rad ist euer wichtigster Begleiter. Ein französisches Sprichwort sagt: « Wer weit reisen möchte, pflegt sein Rad » Sucht euch, sofern ihr noch eines braucht, ein ordentliches raus. Wenn man kein Geld hat, um einen Campingplatz oder eine Jugendherberge zu bezahlen: Wo kann man am besten die Nacht verbringen? Delphine: Zelt, Schlafsack, Kocher und Kochtopf, eine bisschen Lebensmittelreserven. Wenn man mit dem Rad reist und sich komplett selbstversorgt, ist das nicht teuer. Hin und wieder muss man einkaufen und das ist alles. Und dann passiert es einem immer wieder wie durch Zauberhand, dass man von einigen der vielen Leute, die man auf einer Reise trifft, eingeladen wird, bei ihnen zu übernachten. Schmiedet ihr bereits neue Pläne? Damien: Im Moment arbeiten wir beide stark an der medialen Aufarbeitung unseres Projekts Planète.D – wir haben zwei DVDs rausgebracht, die man über unsere Homepage auch mit englischen, deutschen und spanischen Untertiteln bestellen kann. Außerdem habe ich ein Buch über unsere Reise geschrieben. Wir veranstalten Vorführungen von Filmen über unsere Abenteuer in ganz Frankreich. Für mich ist das ein Vollzeitjob. Delphine: Was die Zukunft angeht, fahren wir nächsten Sommer mit dem Rad und unserer Tochter Lirio im Kinderbeiwagen nach Island, und dann denken wir dran, im Jahr 2011 wieder in Richtung Zentralasien aufzubrechen. Delphine, Damien, vielen Dank für das Gespräch. Grüßt eure kleine Tochter! Und alles Gute für die Zukunft! Weitere Infos und Bilder von der Weltumrundung findet ihr unter: www.planeted.eu oder http://www.youtube.com/watch?v=EX5igiOvx7s&NR=1