Der Jugend eine Stimme
Gemeinschaftskunde, Klassenstufe 10: Das Thema der heutigen Stunde: „Demokratie“. Der Lehrer zitiert das Grundgesetz: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt“. Die ersten Schüler gähnen und sehnen sich nach der Mittagspause. Zum Wahlvolk zählen sie schließlich noch lange nicht…
In Deutschland liegt das Wahlalter auf Bundesebene und auch in den meisten Bundesländern bei 18 Jahren. Das Thema „Wählen gehen“ bleibt daher für die meisten Schüler reine Theorie. Doch warum wird Jugendlichen eigentlich die Fähigkeit abgesprochen eine politische Wahlentscheidung treffen zu können?
Fehlendes Wissen, mangelndes Interesse, politische Unreife und die Gefahr von Manipulation sind die häufigsten Argumente gegen eine Absenkung des Wahlalters. Skeptisch sind hierbei nicht nur Erwachsene, sondern vor allem auch die Jugendlichen selbst. Sogar im Vorreiterland Österreich, in dem seit 2007 auf allen politischen Ebenen bereits 16-Jährige wahlberechtigt sind, ist die Senkung des Wahlalters, das belegen mehrere Studien, nie ein zentrales Anliegen junger Menschen selbst gewesen. Aus Sicht des Landesjugendrings Baden Württemberg, der sich für eine Wahl ab 14 einsetzt, sind diese Vorbehalte jedoch noch lange kein Grund, die Wahlreife junger Menschen anzuzweifeln: Bringt doch die Unsicherheit vieler Jugendlicher bezüglich ihrer eigenen Urteilsfähigkeit vor allem ihren Respekt vor der Ernsthaftigkeit und der Wichtigkeit von Wahlen zum Ausdruck. Jedenfalls käme bei Erwachsenen niemand auf die Idee das Wahlrecht wegen Desinteresse oder bruchstückhaftem Wissen in Frage zu stellen.
Viele Politiker sehen einen Widerspruch zwischen der Volljährigkeit ab 18 und einem niedrigeren Wahlalter. Ausgeblendet wird hierbei allerdings, dass sich für Jugendliche schon mit 14 wesentliche Rechte und Pflichten ändern. Mit diesem Alter beginnt die Religions- und Strafmündigkeit. Aber warum ist ein/e Jugendliche/r, dem/ der zugetraut wird, die Religionszugehörigkeit frei zu wählen und Verantwortung über das eigene Handeln zu übernehmen, nicht dazu in der Lage, eine politische Wahlentscheidung zu treffen?
Den aktuellsten Beweis für die Gewissenhaftigkeit und politische Reife jugendlicher Wähler bietet die Wiener Gemeinderatswahl 2010. Die Versuche, v.a. der politischen Rechten, ÖVP und FPÖ, Jugendliche mit einem reißerischen und sexuell aufgeladenen Wahlkampf zu ködern, ließen die Jungwähler in ihrer Entscheidung kalt. Während die FPÖ mit halbnackten Badenixen in ihren Comics warb, hatte die ÖVP das Motto « schwarz macht geil » auf ihre Kondome gedruckt. Am Wahltag stimmten schließlich gut zwei Drittel der Wiener Jungwähler für Rot-Grün und auch die Stimmen zugunsten der Rechtsparteien können wohl kaum auf den « sexy Wahlkampf » zurückgeführt werden. Das geht aus einer Befragung des Wiener Sozialforschungsinstituts SORA hervor.
Jugendlichen eine Stimme zu geben bedeutet ihre Interessen ernst zu nehmen. Politik darf nicht irgendetwas Abgehobenes sein, das fremd und abweisend über den Köpfen junger Menschen schwebt. Im Gegenteil: Politik muss für Jugendliche praktisch erfahrbar sein. Politische Willensbildung ist ein Lernprozess, der in der Schule angestoßen und begleitet werden muss. Wählen gehen muss gelernt werden.
Jugendliche müssen die Möglichkeit haben, sich einzumischen. Eine Herabsetzung des Wahlalters würde Parlamente und Regierungen dazu verpflichten, Kinder und Jugendliche stärker in Entscheidungen, die sie selbst betreffen, miteinzubeziehen. Und dies ist dringend geboten: Denn schließlich ist es unsere Generation, die morgen mit den Entscheidungen von heute leben muss.
Aaron Simchen studiert zur Zeit internationales Recht in Grenoble