Konsumentscheidung Contra
Können wir durch unseren Konsum die Welt retten?
Reiner sagt: Nein!
Wider die Verwechslung von Konsumentscheidung und Problemlösung
Freitags kommt die Biokiste, ich kaufe in Bio- und Weltläden, von Genossenschaften und Kooperativen, den Führerschein habe ich nie gemacht. Ich bin überzeugt: Auch die oft geschmähten alltäglichen Kleinigkeiten haben zum Teil große Auswirkungen. Die Verantwortung der Einzelnen dafür zu leugnen, wäre ebenso dumm, wie den Verdienst von uns Umweltverbänden, dafür seit Jahrzehnten zu sensibilisieren. Aber – es ist und bleibt ein Irrtum zu glauben, durch Konsumentscheidungen Probleme lösen zu können.
Wenn große Produzenten und Handelsketten in ihrem Marketing die Verantwortung der KonsumentInnen in den Vordergrund rücken, wird offensichtlich, dass sie ihrer eigenen nicht gerecht werden. Die konsequente Umstellung der Produktpalette auf bessere Alternativen wird der fehlenden Nachfrage zugeschrieben. Der sonst mit Statussymbolen der Macht nicht geizige Wirtschaftslenker ist plötzlich das arme Opfer der sogenannten „Marktgesetze“ von Angebot und Nachfrage. Er würde ja gerne, wenn der König Kunde ihn nur ließe… Wenn es darum geht, zweitonnenschwere Arschlochautos (SUV genannt) in den Markt zu drücken, Nachfrage zu schaffen für ein „Transportmittel“, das vor allem das eigene Gewicht transportiert, sieht die Sache anders aus.
Wenn wir bessere Alternativen kaufen, tragen wir damit zu einer Erweiterung der Produktpalette bei. Es entsteht ein neues Marktsegment zusätzlich. Dadurch wird aber erst mal noch keine nicht-nachhaltige Produktionsweise eingestellt. Die konsequente Umstellung der Produktpalette setzt politische Entscheidungen voraus. So war es schon vor 20 Jahren nicht sehr originell, von Umweltschutzpapier zu reden. Dass wir heute immer noch über dessen Durchsetzung reden müssen, ist ein Skandal.
Wenn dieser Tage viel von Rio+20 die Rede ist, heißt das im Klartext: Spätestens seit 1992 ist der Welt klar, wohin die Reise geht. Wir dachten damals: Endlich! Es geht voran. Aber seither haben sich die zentralen Probleme Welthunger, Artensterben und Klimawandel verschärft. Die genannten Probleme sind gesellschaftlich verursacht, sie individualisiert durch Kaufentscheidungen lösen zu wollen ist bestenfalls naiv.
Was wir brauchen sind verbindliche Regeln, die manches unmöglich machen, anderes befördern und die von einem politischen Gestaltungswillen geprägt sind, der das Wohl der Menschheit zum Ausgangs- und Zielpunkt seines Denkens und Handelns macht und der Gemeinwohl nicht mit Wirtschaftswachstum gleichsetzt. Verbindliche Regeln sind etwas, das grundsätzlich nicht individuell zu schaffen ist und auch nicht von der Politik (als ob wir damit nichts zu tun hätten). Das geht nur durch den politischen Diskurs, den demokratisch-gesellschaftlichen Prozess, transparent und öffentlich.
Individuelle Konsumentscheidungen können sinnvolle Beiträge für eine Nachhaltige Entwicklung leisten. Wir brauchen auch konkretes, nicht nur politisches Handeln im engeren Sinn – ohne letzteres wird es aber nicht gelingen. So verstanden ist die einseitige Betonung der Bedeutung von Konsumentscheidungen im Ergebnis ein Beitrag zur Entpolitisierung des Nachhaltigkeitsbegriffs. Und wir machen uns damit zu nützlichen Idioten derer, die wollen, dass auch weiterhin kräftig konsumiert werde.
Nachhaltigkeit ist keine Privatsache und für uns als Umweltverband wäre es, in vollkommener Verkennung unserer Rolle im politischen Prozess, eine strategische Blödheit ersten Ranges, diesen Irrtum weiterzuverbreiten. Stattdessen müssen wir darauf hinwirken, dass wir mehr mündige BürgerInnen werden, kritisch und streitbar, Menschen, die politisch denken und handeln (auch einkaufen), die sich aber nicht zu KonsumentInnen degradieren lassen.
Reiner Baur ist Landesgeschäftsführer der BUNDjugend BW.
Artikel aus kriZ Nr. 6 vom Herbst 2012. Zu diesem Artikel gehört dieser Pro-Artikel. Weitere Infos zum Thema findest du hier.