Kreativer Straßenprotest und ziviler Ungehorsam
Ob bei den Protesten gegen Stuttgart 21, gegen Atomkraft, Klimaveränderung oder Gentechnik in der Landwirtschaft – kreative Aktionsformen spielen ein große Rolle für die Thematisierung politischer Anliegen. Schon immer haben politische AktivistInnen versucht, über Aufsehen erregende Aktionen besondere Aufmerksamkeit für ihre Themen zu schaffen. Andererseits waren kreative Aktionen oft ein Ausdruck des Wunsches, im Protest auch Freude zu erleben, sich selbst weiter zu entwickeln und auszuprobieren und dabei eben mit verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen zu experimentieren. Im Mittelalter nutzte die arme Bevölkerung den Karneval, um sich über die Herrschenden lustig zu machen, wobei es immer wieder auch zu „Brotrevolten“ kam. Das Arbeitertheater, auf der Bühne und auf der Straße aufgeführt, hatte als Form politischer Bildung und als Protestform bis zum Zweiten Weltkrieg große Bedeutung. Die1968er Studierendenbewegung brachte Happenings und Go-Ins als Formen von Zivilem Ungehorsam in die Protestkultur. Und mit dem Zusammenkommen der globalisierungskritischen Bewegungen seit Ende der 1990er Jahre entstanden zahlreiche neue Aktionsformen wie Reclaim The Street-Partys, Rebel Clowns oder Flash Mobs. Die Ziele dieser kreativen Aktionsformen können je nach konkretem Anlass und Thema durchaus unterschiedlich sein. Eine Party, die eine Straße als Tanzfläche nutzt und damit dem Autoverkehr entzieht, macht unmittelbar Spaß, vermittelt, was sein könnte, wenn es weniger Autos und Straßen gäbe und liefert gute Fotos für Medien, damit diese über Klimaveränderung und Protest dagegen berichten können. Rebel Clowns wirken deeskalierend bei Aktionen, stellen aber auch eine Parodie von Militär und Polizei dar und kritisieren Autoritäten und Herrschaft. Flash Mobs haben das Potential, über persönliche Kontakte und Email/SMS-Verteiler viele Leute zu kurzen Aktionen zusammenkommen und gemeinsam handeln zu lassen. Sowohl bei den Protesten gegen Atomkraft und gegen die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke, aber auch bei den Protesten gegen Stuttgart 21 hat sich erneut gezeigt, dass viele Menschen Methoden des zivilen Ungehorsams als legitim ansehen. Umso mehr, da unzählige kreative Aktionen, Kundgebungen und Großdemonstrationen zu keinem Einsehen der Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft geführt haben. Noch viel mehr als im kreativen Protest spielen Selbstermächtigung und Selbstorganisation in der Vorbereitung und Durchführung von Zivilem Ungehorsam, wie Sitzblockaden oder Besetzungen, eine entscheidende Rolle. Die Aktionen werden von Menschen, die sich in Bezugsgruppen zusammenschließen, im Konsensprinzip vorbereitet und durchgeführt. Insofern sind sie nicht nur eine Übung in Widerstand, sondern ebenso in Basisdemokratie und Beteiligung an gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen.
Aktions- und Blockadetrainings werden in Stuttgart von den Parkschützern angeboten, bundesweit vom Netzwerk skills for action (http://www.skills-for-action.de).
Marc Amann ist Aktionstrainer und Herausgeber von „go.stop.act! Die Kunst des kreativen Straßenprotests“