Unser veganer Coach von der TIRS berichtet über die Bewegründe vegan zu leben
Andreas, 32, Überzeugungstäter: Warum vegan?
Veganer. Das sind die, die jedem das Essen madig reden. Jedem ein schlechtes Gewissen machen wollen. Die Welt schwärzer malen, als sie ist. Total radikal, verständnislos und respektlos ihren Mitmenschen gegenüber.
Vegetarier sind okay. Viel gemäßigter. Rücksichtsvoll. Seit meinem zehnten Lebensjahr bin ich selbst einer. Seit ich über einen Fernsehbericht erfuhr, dass das Wörtchen „Tiertransport“ in unserer Gesellschaft mit Tierquälerei gleichzusetzen ist. Die Bilder von der an einem Bein aufgehängten Kuh, die mit weit aufgerissenen Augen durch die Gegend blickt und panisch schreit, habe ich heute noch im Kopf. Die Worte meines Vater dazu, der für einen Zehnjährigen eigentlich Bezugsperson sein sollte, ebenso: „Das ist halt so“.
Damals hatte ich erstmalig erfahren, wenn auch noch nicht verstanden, wie tief verwurzelt speziesistische Diskriminierung nichtmenschlicher Tiere in unserer Gesellschaft verankert sein muss, wenn offensichtliches Leid anderer mit derartiger Gleichgültigkeit quittiert wird. Würde jemand dasselbe einem Menschen antun, wäre es schlimm. Ganz bestimmt.
Dennoch war der Weg für mich klar: Keine Tiere mehr essen, das heißt für niemandes Tod verantwortlich sein. Also vegetarisch. Milch ist okay, denn es tut den Kühen ja nicht weh, wenn man ihnen etwas Milch nimmt und ihnen dafür Unterkunft und Essen bietet. Fairer Tausch. Eier sind okay, denn sie sind ja noch nicht befruchtet, also muss dafür auch niemand sterben. Und die Hühner legen sie ja sowieso. Selbst ein Zehnjähriger versteht das.
17 Jahre lang hatte ich diese Erkenntnis nicht hinterfragt – bis die Realität meine Unwissenheit einholte. Es begann mit der Erkenntnis, dass Käse nicht immer vegetarisch sein muss; aufgrund des tierischen Labs. Dann folgte ein Wochenende der Internetrecherchen.
Milch ist nicht okay. Kuh-artige Tiere, die so überzüchtet sind, dass sie zehn mal so viel Milch geben, wie gesund für sie ist, stehen unter Dauerstress, bekommen Euter-Entzündungen und Osteoporose (weil das Kalzium der Milch aus den Knochen der Kuh kommt). Zudem erleben sie fünf bis sechs Mal das Trauma, wenn einer Mutter ihr Kind entrissen wird. Einmal als Kind, und mehrmals als Mutter, bis sie dann nach einem Bruchteil ihrer natürlichen Lebenserwartung doch gewaltsam getötet werden.
Eier sind nicht okay. Wer das zweifelhafte Glück hat, männlich zu sein, wird direkt nach der Geburt getötet. Geschreddert oder vermust. Die Schwestern der jungen Hähne sind hochgezüchtete Turbohühner und legen fünf mal so viele Eier, wie gesund für sie ist. Sie können gar nicht anders. Wenn die Leistung nachlässt, passiert dasselbe wie bei den Kühen. Mord im Akkord in den Schlachthäusern.
Ich fühlte mich hilflos. Und ich war verdammt wütend darüber, dass die landwirtschaftliche Industrie – pardon, die Tierausbeutungsindustrie mit ihren Lobbys und Marketingagenturen und zig Millionen an Werbemitteln – diese Realität 17 Jahre lang so gut vor mir geheim halten konnte. Propaganda verbreitende Bastarde. Wieso dürfen die das? Wieso hindert die niemand daran?
Aber wem mache ich einen Vorwurf, wenn ich selbst 17 Jahre lang nicht in der Lage war, mich zu informieren. Spätestens, seit es das Internet gibt, ist die Realität doch jedem halbwegs gebildeten Menschen zugänglich. Vielleicht war es vielmehr die unterschwellige Angst vor der Erkenntnis und den Konsequenzen, die 17 Jahre lang mein Gewissen ruhig hielt und mich die Propaganda schlucken ließ. Denn irgendetwas war doch schon immer faul.
Wieso geben Kühe eigentlich ihr Leben lang Milch? Säugetiere geben Milch für ihren Nachwuchs. Kühe sind keine Ausnahme. Selbst ein Erwachsener versteht das. Fragt er sich auch, wo der männliche Nachwuchs hin geht, wenn er keine Milch gibt? Aber irgendwie wird es doch schon passen, deshalb war Milch okay.
Und warum legen Hühner täglich ein Ei? Andere Vögel haben maximal zwei Gelege im Jahr mit einer handvoll Eiern. Haben ausgerechnet domestizierte Hühner so viel Spaß daran, täglich einen merklichen Teil ihrer eigenen Körpermasse und mit ihm viele Vitamine und Mineralstoffe auszuscheiden? Und sind Hühner natürlicherweise immer weiblich? Vermutlich nicht, aber lieber nicht weiter hinterfragen, denn die Erkenntnis könnte unbequem sein.
Die Erkenntnis dieses Recherchewochenendes war unbequem. Wie sollte ich vegetarisch leben, ohne für so viel Angst, Schmerz und Tod verantwortlich zu sein? Es war praktisch unmöglich, denn selbst Bio-Höfe sind meist nichts anderes als Todestrakt mit Sonderkonditionen. Und dennoch dauerte es, bis ich die Antwort darauf eingesehen hatte. Obwohl sie doch auf der Hand lag: Einfach keine Milch und keine Eier mehr essen.
Kein Joghurt, Pudding, Butter, Sahne, Nudeln, Schokolade, Gebäck oder Kuchen mehr. Und keinen Käse. Nie mehr Pizza, Lasagne, Risotto oder leckere, überbackene Gratins. Ja, es war verdammt unbequem, diese lieb gewonnen, abwechslungsreichen, schmackhaften, tierquälerischen Gewohnheiten binnen zwei Tagen über Bord zu werfen. Hätte ich es jedoch nicht getan, wäre meine beabsichtigte Rücksichtnahme auf meine nichtmenschlichen Mittiere in den letzten 17 Jahren nur pure Heuchelei gewesen, denn jetzt kannte ich ja die Realität, jetzt konnte ich mich nicht mehr hinter zurecht gezimmerten Heile-Welt-Fassaden verbergen.
Ich lebe seit Herbst 2007 vegan. Ich hatte mich damals erstmals ernsthaft und ohne Vorurteile mit Veganismus auseinander gesetzt und verstand plötzlich: Veganer, das sind die, die erkannt haben, was abgeht. Die wissen, dass nicht nur an Fleisch, sondern auch an Milch und Eiern Blut klebt. Die nicht die Hunderte Millionen Tonnen Fleisch, Milch oder Eier, sondern die zig Milliarden Individuen dahinter sehen, die der Industrie jährlich zum Opfer fallen – mehr als alle Kriege, Seuchen und Hungersnöte der gesamten Menschheitsgeschichte je gefordert haben.
Veganer malen die Welt nicht schwärzer, als sie ist, sondern haben ihre selbst-schützenden Mauern davor abgebaut, sich ihr gestellt. Sie nehmen endlich die moralische Verpflichtung eines jeden vernunftbegabten Wesens wahr und haben aufgehört, Wehrlosen aus niederen Beweggründen Leid zuzufügen. Weil sie die Missstände in unserer Gesellschaft nicht länger hinnehmen. Weil sie etwas dagegen tun wollen.
Deshalb unterstütze ich das Projekt der BUNDjugend mit meinem Wissen und meiner Erfahrung, damit die unbequeme Erkenntnis für junge Leute etwas einfacher wird. Denn die Zeit hat mich gelehrt: Veganismus ist kein Verzicht, sondern ein Gewinn. Nicht nur ein Gewinn neuer schmackhafter Gewohnheiten, denn fast alle Lebensmittel haben ihr veganes Pendant; sondern auch ein Gewinn an Gewissheit, endlich das einzig rechte zu tun. Aus Respekt vor unserer Mitwelt. Aus Liebe zum Leben.