BUNDjugend Baden-Württemberg  

Von unsichtbaren Geflechten und Huckepacklösungen

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Was bedeutet eigentlich Warentransport?

Unsere Welt ist durchzogen von einem unsichtbaren logistischen Geflecht, das es uns ermöglicht, Waren über den ganzen Planeten zu transportieren. Schließlich wollen wir Äpfel aus Neuseeland, die in Polen gewaschen und geschält und in Hamburg zu Apfelsaft gepresst werden. Oder Fußbälle aus Afrika. Schicke Kleidung aus Bangladesh. Das wollen wir doch alle. Oder?

Was wir nicht wollen, ist die Art und Weise, wie diese Sachen zu uns kommen. Mit Lastwagen, Flugzeugen, Schiffen. Im Hintergrund läuft die Logistik, verantwortlich für viele umweltschädliche Emissionen, welche richtig verstanden aber auch eine Möglichkeit bietet, um Probleme zu lösen. Logistik ist alles, was mit dem großen Materialfluss unserer Welt zu tun hat. Der muss am Laufen gehalten werden. Das Seefrachtaufkommen hat sich beispielsweise in den vergangenen vier Jahrzehnten auf rund 51.000 Milliarden Tonnen-Transportkilometer beinahe verfünffacht. Und es wird scheinbar billiger, da der Naturressourcenverbrauch nicht in vollem Umfang berücksichtigt wird, wie auch der Ölverbrauch, das Waldsterben u.v.m..
Und doch: Je mehr bewegt wird, desto geringer sind die Kosten für die Wege. Heute kostet eine Tonne Seefracht nur noch ein Drittel dessen, was im Jahr 1930 bezahlt wurde. Damals, so hat es die Bundeszentrale für Politische Bildung ausgerechnet, musste man für ein dreiminütiges Telefonat zwischen New York und London umgerechnet 244 Dollar bezahlen, heute kostet das gleiche Gespräch gerade mal 30 US-Cent, oder ist per Skype und Internet praktisch kostenfrei. In anderen Transport- und Kommunikationsbereichen fallen diese Unterschiede ebenso – oder noch stärker – aus.
Wer dabei aber nur an Transport denkt, sieht lediglich einen Bruchteil der Entwicklung des Ganzen. Die längste Zeit in der Geschichte der Menschen und ihrer Wirtschaft waren lokale und regionale Räume das natürliche Biotop unseres Handelns. Die Wege waren notgedrungen kurz. Für die meisten Menschen war die Welt riesig. Der Historiker Eric Hobsbawm berichtet über diese Welt: Als im Jahr 1789 der Sturm auf die Bastille geführt wurde – der Auftakt der Französischen Revolution – brauchte die Nachricht darüber 13 Tage bis in die spanische Hauptstadt Madrid, aber 14 Tage in die nur 133 Kilometer von Paris entfernte Abtei Peronne. Die Gesellschaft vor dem Industriekapitalismus war eine langsamere Welt.
Auch eine weitere alte Gewohnheit änderte sich: Sachen zu bunkern, also Lagerhaltung zu betreiben.kriz_Konsumensch

1945 begann ein Manager des Toyota-Konzerns namens Taiichi Ono darüber nachzudenken, wie man der enormen Kapitalbindung entgehen konnte, die durch Lager entstanden. Die Lieferanten von Waren, die man zur Autoherstellung brauchte, sollten nun ihre Teile exakt nach Bedarf anliefern, in der richtigen Menge und zur richtigen Zeit – „just in time“.
Das finden wir heute normal, und vergessen, dass unsere Kulturen immer ganz wesentlich von der Vorratswirtschaft beeinflusst waren. Lager sind Vorräte. Wer bunkern kann, hat Sicherheit, ist reich. Onos Idee war ein großer Schritt und machte es erst möglich, was immer mehr zur Eigenheit der Produktion geworden ist: die Personalisierung von Produkten.
Die Maschinerie springt erst an, wenn der Kunde kauft. Aber das hat seinen Preis: Die Komplexität steigt mit der Differenzierung. Es gibt wesentlich mehr Einzelteile, die bewegt werden. Der Güterverkehr nimmt zu. Das Lager wird auf die Straße verlegt. Es geht nun um Informationen, welche Fracht sich an welchem Ort befindet. Es geht nicht um Brummis, Container, Schiffe, Flugzeuge, Straßen und Schienen, Staus und Energiekrisen. Die Logistik erscheint uns als riesiges globales Förderband, weil wir es nicht anders erkennen.

Verstehen wir diese grundlegenden vorhandenen Mechanismen besser zu nutzen, so können wir viele menschliche Nöte beseitigen.

Schauen wir uns mal Coca-Cola-Flaschen an, die wegen ihres Vertriebsnetzes überall zu finden sind. Selbst im entlegendsten Dorf unserer Welt finden wir diese Limo. Ließe sich in den Zwischenräumen in den Cola-Kästen nicht auch huckepack was anderes transportieren? Medikamente zum Beispiel?
Diese Idee hatte 1988 der Entwicklungshelfer Simon Berry im Nordosten Sambias, als ihm beim Anblick einer Limonadenflasche eine lebensrettende Idee kam. Damals starb jedes fünfte Kind in der Region vor seinem fünften Geburtstag. Oft waren Krankheiten die Ursache, die sich mit Medikamenten für wenige Cent hätten behandeln lassen: Rehydrierungssalze gegen die Folgen von Durchfall etwa. „Nur gab es keine Möglichkeit, die Arzneien in diesen entlegenen Winkeln zu verteilen“, erklärte der Entwicklungshelfer. Doch Cola-Flaschen gab es in den Dörfern zu kaufen. Berry hatte die Idee, dass Arzneimittel doch huckepack in Coca-Cola-Kisten mitreisen könnten. Man müsste doch nur den Konzern mit dem größten Vertriebsnetz der Welt für das Vorhaben gewinnen. Tatsächlich geschah 20 Jahre lang nichts dergleichen. Nach den Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO starben in diesem Zeitraum weltweit 30 Millionen Kinder an Durchfallerkrankungen – mehr als durch Aids, Malaria und Masern zusammen.
Im Frühjahr 2008 schrieb Berry darüber in seinem Blog. Die Radiosendung der BBC verschaffte seiner Sache schließlich doch bei den richtigen Leuten Gehör. Und so willigte Coca-Cola ein, das Konzept in Tansania zu testen. Es reichte aber nicht aus, nur Entscheidungsträger im Cola-Konzern zu überzeugen, um das weltgrößte Vertriebsnetz einzuspannen. Es müssen ebenso die 13.000 Menschen einbezogen werden, die dafür sorgen, dass die Cola-Flaschen in die Läden kommen. Manual Distribution Centres (MDC) heißen diese feinsten Verästelungen des Vertriebs, die in Eigenregie etwa 450.000 Verkaufsstellen in Afrika mit der Limonade beliefern. Jeder Mensch darin verdient etwas Geld damit, Coca-Cola zu verkaufen. Das ist der Erfolgsfaktor dieses Systems, deshalb ist es so stabil und weitreichend.
In der Facebook-Gruppe diskutieren inzwischen mehr als 8.000 Menschen. Das Konzept von „ColaLife“ zielt darauf ab, durch die Nutzung der kommerziellen Netzwerke die Vertriebswege für Medikamente zu ergänzen, so dass diese auch die sog. „Letzte Meile“ abdecken. Dies ist nur möglich, wenn die Medikamente keine kommerziellen Produkte verdrängen.

Ein ehrenamtliches Designerteam nahm sich der Sache an. Der ungenutzte Raum zwischen den schlanken Flaschenhälsen sollte ausgefüllt werden. So enstand das „Aidpod“-Behältnis, das wie ein länglicher Keil zwischen den Flaschen klemmt. Darin könnten auch andere Medikamente, Kondome, Saatgut für Bauern oder Malariamückennetze transportiert werden. Alles, was klein und leicht genug ist, nicht gekühlt werden muss oder akut benötigt wird, eignet sich zur Mitreise in einer Cola-Kiste.

Wenn das System in Afrika erst einmal funktioniert, könnte es auf andere arme Länder, etwa in Asien, übertragen werden.
In der nahen Zukunft können wir selbst die vorhandene Logistik nutzen und gestalten, um soziale und ökologische Probleme zu lösen. Nur anpacken müssen wir selbst.


Als Inspiration:

www.colalife.org

Bild: www.weltbewusst.org/stadtrundgang/projekt

Ein kriZ-Artikel von Dave Tijok, August 2013, Aktiver der BUNDjugend Baden-Württemberg.