Konsumentscheidung Pro
Können wir durch unseren Konsum die Welt retten?
Kata sagt: Ja!
Warum der erste Schritt möglicherweise der wichtigste ist
Wir kaufen selbstverständlich im Bioladen ein, statten dem Weltladen regelmäßig einen Besuch ab, beziehen Natur-Strom und fahren mit Bahn und Bus. „Das ist doch das Mindeste!“, denken wir und rümpfen unser Näschen über die Idioten, die noch nicht einmal das tun, sondern immer noch, trotz diverser ZDF-Specials über die Textilproduktion in Indien und der Arte-Dokumentation neulich über Massentierhaltung, ihre Kleidung bei H&M kaufen und Fleisch tatsächlich bei Lidl. Wir fahren am Wochenende zur Castor-Blockade, die Anderen gehen shoppen. Oh, du idyllische Öko-Welt! Die Selbstverständlichkeit, mit der wir das tun, verbirgt, wie elitär unsere Szene eigentlich ist. Wir, das sind nicht nur überzeugte Bio-Esser, sondern zumeist auch weiße AbiturientInnen und HochschulabsolventInnen aus dem klassischen Bildungsbürgertum oder postmateriellen Milieu. Unsere Sozialisation ist ein Privileg, das wir allzu oft vergessen und unsere Maßstäbe einfach an andere anlegen – nicht nur an ihren Geldbeutel, sondern vor allem an ihr Bewusstsein. Der Diskurs, inwieweit Konsumentscheidungen Probleme lösen können, ist meiner Meinung nach aus folgendem Grund elitär: Er setzt das Bewusstsein und das für Teilhabe am politischen Diskurs notwendige Wissen über hochkomplexe wirtschaftliche, ökologische und soziale Zusammenhänge mal eben voraus und fordert „mehr“, nämlich politische Entscheidungen zu treffen und politisch aktiv zu sein. Wenn mich eine 14-jährige 9. Klässlerin einer Realschule in Stuttgarts Mitte bei einem konsumkritischen Stadtrundgang fragt, was das denn für komisches Papier sei, das ich da hätte, und ich ihr erst mal erklären muss, was Recycling-Papier ist, kann ich über solche Forderungen – so sinnvoll sie sein mögen – leider nur müde lächeln. Aber: Was wir kaufen ist politisch, auch wenn uns das nicht immer bewusst ist. Eine Trennung der Sektoren Konsum und Politik (und Ethik!) ist in einer globalisierten, kapitalistisch-neoliberalen Welt nicht möglich. Konsumkritik degradiert uns nicht zu Konsumenten. Wenn sie gelingt, zeigt sie uns viel mehr, dass eben dies das Interesse „der“ Wirtschaft (an dieser Stelle kann ich nicht differenzieren) ist. Konsumkritik ist politisch und Bildungsarbeit, und die ist dringend nötig. Wichtig ist, auf sogenannte „big points“ zu achten, also Handlungen, die eine große Wirkung haben. Dies gilt sowohl für politisches Handeln als auch für den Konsum. Dauerhaftes Engagement in einem politischen Verband hat einen anderen Einfluss, als die Teilnahme an einer Unterschriftenaktion. Ebenso mögen es „peanuts“ sein, Kartoffeln statt Reis zu essen. Aber der Verzicht auf eine Fernreise oder eine gute Wärmedämmung haben schon ganz andere Effekte. Mir geht es bei einem WELTbewusst-Stadtrundgang nicht primär darum, einfach mehr Leute in den Bioladen zu schicken, sondern sie zum Nachdenken zu bringen und ihnen aufzuzeigen, wie Interessengegensätze, Politik, Marketing, Wirtschaft und Ökologie verwoben sind und warum es sinnvoll ist, anders zu konsumieren. Und weitergedacht eben auch anderweitig aktiv zu sein. Das ist kein leichtes Unterfangen, denn das Sein bestimmt das Bewusstsein eben stark. Das macht Konsumkritik keinesfalls trivial. Das Kaufen anderer Produkte ist eine Lösung, und zwar eine Zwischen-Lösung hin zu einem politischen Bewusstsein. Wir sollten diese vermeintlich ungenügenden kleinen Schritte nicht unterschätzen. Problematiken wahrnehmen, verstehen und mit dem eigenen Alltag verknüpfen bis hin zu Handlungskonsequenzen ist kein einfacher Schritt. Bei einem bin ich mir sicher: Für viel mehr Menschen, als wir glauben, ist der (selbstverständliche) Schritt in den Bioladen oder Weltladen nicht klein, sondern verdammt groß. Weil dazu schon das vielgeforderte Nach-, ja vielleicht sogar Umdenken stattgefunden hat, das einen großen Teil der Problemlösung ausmacht, ja sie sogar erst möglich macht.
Katharina Ebinger ist im Vorstand der BUNDjugend BW und Mitglied der WELTbewusst-Gruppe Stuttgart
Artikel aus kriZ Nr. 6 vom Herbst 2012. Zu diesem Artikel gehört dieser Contra-Artikel. Weitere Infos zum Thema findest du hier.